Miri, Mirabella

Miris Familie war schon seit vielen Generationen im Fischhandel tätig. Obwohl sie keine Geschwister und keine Freunde besaß war sie doch niemals einsam. Selbst wenn ihre Eltern an vielen Tagen nur mit ihrer Arbeit beschäftigt waren und am Abend viel zu müde, um sich viel um ihre Tochter zu kümmern, fehlte es ihr an nichts. Dann wiederum – es kann einem Kind wie Mirabella, die sich nicht viel mehr als die Aufmerksamkeit ihrer Eltern wünschte, auch nicht an Geschenken fehlen.

Nicht, dass sie nicht dankbar war an dem vielen Spielzeug und hübschen Kleidern, die ihre Eltern von ihren wochenlangen Geschäftsreisen mitbrachten. Aber noch viel lieber hätte sie es gehabt, dass ihre Eltern anstelle eines Geschenkes früher nach Hause gekommen wären, sich zu ihr gesetzt hätten und mit ihr gespielt hätten.

Nach ihrem zehnten Sommer veränderten ihre Eltern sich plötzlich. Sie blieben öfters zuhause und Mirabella lernte ihre Eltern zum ersten Mal richtig kennen. Sie lernte, dass ihre Mutter eine wunderschöne Gesangsstimme hatte, die sie mit ihr teilte. Zusammen sangen sie Tage lang und ihr Vater war ein sehr lustiger und liebender Mensch, auch wenn er sich für seine Arbeit oft verstellte. In Mirabellas Augen war es, als ob er eine Maske aufsetzen würde. Der Mann, der die anderen Fischer befehligte und ihr Vater waren in ihren Augen zwei komplett verschiedene Personen.

Doch eines Tages wachte MIrabellla in den frühen Morgenstunden durch ein lautes Gepolter auf. Als sie die Treppen hinunter ging, fand sie ihren Vater und ihre Mutter vor. Sie beide hatten ihr Reisegewand an und es standen zwei schwer aussehende Koffer vor der Tür. Mirabella fragte wohin sie fahren würden. Ihre Mutter sah sie mit etwas traurigen Augen an und ihr Vater kniete sich vor ihr hin, um auf einer Höhe mit ihr zu sein. „Wir müssen für ein paar Tage weg, es gab einige Probleme an den üblichen Fischer Routen, aber mache dir keine Sorgen wir sind sicher bald zurück“, sagte er mit ernster Stimme. „Passe auf das Haus auf, bis wir wieder zurückkehren und öffne bloß niemanden die Tür.“

Miri nickte und umarmte ihre Eltern zur Verabschiedung. Ihre Mutter drückte sie so fest an sich und flüsterte ihr ein “Es tut mir so leid“ zu. Warum entschuldigte sie sich, es ist ja nicht das erste Mal, dass sie so früh am Tage weg mussten?

Nach einigen Tagen kamen seltsame Männer zu ihrem Haus. Sie wollten unbedingt rein, Mirabella antwortete aber ihrem Klopfen und Geschrei nicht. Sie blieb immer eingesperrt in ihrem Zimmer, wenn die wütenden Männer kamen. Doch eines Tages, gerade als Mirabella am Tisch zum Essen saß, flog eine brennende Flasche durch das Fenster an das andere Ende des Raumes. Sobald sie am Wandteppich zerschellte, sprangen lodernde Flammen empor und Mirabella rannte aus dem Zimmer ihn ihr eigenes. Sie schnappte sich eine kleine Tasche und füllte sie so schnell wie sie konnte mit Kleidung, Schmuck und Spielzeug.

Sie riss ihre Zimmertür auf und schritt erschrocken zurück. Der Gang, der vor ihr lag war ein Meer aus Flammen geworden. Sie drehte sich um und öffnete ihr Fenster. Kurz zögerte sie, aber mit dem Wissen, dass es keinen Ausweg gab sprang sie hinaus. Sobald ihr Kopf den Boden berührte war alles schwarz.

Als das Mädchen die Augen aufschlug, war das Erste, was sie bemerkte ein Wald um sie herum mit vielen bunten, singenden Vögeln. Das Nächste, was sie sah war ein Gerümpel, das hinter ihr lag als sie erwachte. Es war wahrscheinlich vorher ein Haus, aber nur noch Asche und Holzreste verblieben. Neben ihr lag eine dreckige Tasche am Boden mit einem eleganten, blauen M in der Mitte der Tasche. Als sie sie öffnete kam alles wieder zu ihr zurück; das Feuer, ihr Zuhause, ihre Eltern, die sie zurückgelassen hatten. In ihrem Kopf klangen die letzten Worte ihrer Mutter, „Es tut mir leid.“

„Sie wussten es“, Mirabellas Stimme war zittrig. Egal, auch, wenn sie es wussten, sie haben mich geliebt, oder? Ja, ja sie haben mich geliebt und sie lieben mich immer noch, ich werde einfach zum Dorf gehen und….
Sie werden nicht mit mir reden, auf jeden Fall nicht als Mirabella….

Mirabella nahm ein braunes Kleid, zog es sich an, dann riss sie alle schönen Verzierungen herunter. Im Gegensatz zu dem was alle von ihr dachten war sie nicht dumm.
Sie sprach nicht viel, aber das war, weil es nicht viel gab was sie zu sagen hatte. Sie spielte nicht mit anderen Kindern, aber das war, weil sie die Art wie sie spielten für dumm fand. Warum sollte sie sich prügeln, wenn ein Buch doch so viel interessanter war? Die Tasche mit ihrem Initial drauf versteckte sie in einem Baum, dann ging sie runter zum Dorf wo sie, noch bevor sie es zu einem der Häuser der Fischer schaffte, jemand am Rücken packte und sie in eine Gasse zerrte, dann wurde wieder alles dunkel.
Sie hört die Stimmen zweier Männer. Sie reden in einer Sprache, die sie nicht versteht. Als sie endlich einen klaren Gedanken fassen konnte, wurde ihr schnell klar, dass sie auf einem Schiff war, das immer weiter weg von ihrem ehemaligen Zuhause fuhr. In den nächsten Monaten lernte sie schnell, dass, wenn du nicht tust was von dir verlangt wird  du nicht lange überleben nicht auf diesem Schiff.
Sobald sie einen Hafen anfuhren wusste sie entweder schafft sie es runter von dem Schiff oder sie würde es nicht schaffen länger durchzuhalten und sie wollte nicht wissen was mit den anderen Mädchen passiert war die in den untersten Teil des Schiffes gezogen wurden. Manchmal hörte sie von unten Schreie…

Einer der Männer stellte sich ihr in den Weg. Er stand zwischen ihr und ihrer Freiheit. Sie hatte keine andere Wahl, das Messer, das sie benutzte, um ihm die Kehle durch zu schneiden. Hielt sie nahe an ihrem Körper als sie es endlich schaffte ihre restlichen Verfolger abzuschütteln, indem sie sich in einem Fass das mit seltsamen Früchten gefüllt war, versteckte.
Sie schlief in diesem Fass für einige Zeit und ging dann weiter. Sie wusste nicht wie lange sie durch dunkle Gassen schleichen müsste, wie viele Menschen sie verletzten müsste, um an etwas Gold  zu kommen. Es passierte ein paar Mal dass sie von jemanden in eine Seitengasse gezogen wurde, erfolglos. Manche versuchten ihr nur weh zu tun andere wollten ihren Körper ausnutzen, sie aber ließ es nicht zu. Egal wie sehr sie auch kämpfte – mit Zähnen und Messer, Tritten in weiche Teile und Schnitte durch die Haut, sie schaffte es immer sich zu wehren.

Den Großteil ihres Tages verbrachte sie am Hafen, wo sie sich nach allem umhörte, was sich nur irgendwie nach ihren Eltern anhörte. Einige Male reiste sie auf Schiffen mit als Schiffsjunge, doch sie redete kaum mit den anderen Seefahrern. So trieb es sie von Hafen zu Hafen, von einer dunklen Gasse zur nächsten. Sie hatte schnell gelernt mit dem Messer in der Hand zu schlafen.
Eines Tages, auf einer kleinen Insel, im Hafen, fand sie jemand. Ein junger Mann, er stellte sich als Uhut vor. Er machte ihr einige nette Vorschläge und er nahm sie mit sich mit, weg von den dunklen Gassen und der ständigen Anspannung. Es war kein Schiff auf das er sie mitnahm es war die Lamar, ein riesiges Floß, auf dem sie lernte, wie man anderen Leuten vertrauen kann, dass du nicht immer um jedes noch so kleines Stück Essen kämpfen musst.
Sie lernte, sie wuchs und sie begann sich zum ersten Mal seit Jahren bei einem Namen zu nennen, einen den sie sich ausgesucht hatte.

Sie nannte sich Miri